Freier Meister

Eines Tages sah ein müder, alter Holzfäller, daß die Zeit, in der er körperlich nicht mehr imstande sein würde, seiner Arbeit nachzugehen, nahe war. Er war ein guter und gläubiger Mann und so betete er zu Gott um einen Diener, der stark genug wäre, alle diese schwierigen Aufgaben zu erledigen. Nachdem ein mitleidiger Gott die Klage seines ergebenen Dieners gehört hatte, erschien er ihm und sagte zu ihm: “Dein Wunsch soll Dir erfüllt werden. Ich will Dir einen Riesen als Diener schicken, der alle Arbeiten für Dich erledigen wird. Du mußt ihn nur immer beschäftigt halten, sonst wird er Dich auffressen, verstehst Du?” “Oh ja!, Ja! Mein Herr!”, antwortete der Holzfäller freudig. “Ich werde ihn immer beschäftigen.” Er ließ den Riesen sofort an die Arbeit gehen. “Putze mein Haus, Diener.” “Ja, Herr!” In fünf Minuten hatte der Riese das Haus seines Herrn bis zum letzten Winkel durch und durch gesäubert.

“Sehr gute Arbeit”, bemerkte der Meister lächelnd. “Nun jäte das Unkraut im Garten.” “Ja, Herr!”, antwortete der Riese. Nach drei Minuten war der Garten wunderschön. “Wie herrlich”, bemerkte der Holzfäller, “mein Leben wird von nun an viel leichter sein.” Dem Riesen wurde nun die Aufgabe gestellt, aus dem zwanzig Meilen entfernten Dorf Waren zu bringen. “Das wird den Burschen nun eine Weile beschäftigen”, dachte der Holzfäller lächelnd bei sich. Aber nach einer Minute hatte der Riese seine Aufgabe vollendet und stand wieder vor ihm. “Was nun, Herr?”, fragte er drohend, “Welche andere Arbeit gibst Du mir nun? Schnell, oder ich fresse Dich auf.”
Nun geriet der arme Holzfäller in Panik. Er war kaum fähig, den arbeitswütigen Riesen weiter zu beschäftigen. Langsam begannen ihm die Folgen seines Wunsches zu dämmern. Er erkannte, daß ihm bald keine Arbeit für den Riesen mehr einfallen würde - was dann? In seiner Verzweiflung ging er zu einem Weisen, der ihn nach seinem Problem fragte. Der Holzfäller beschrieb seine schreckliche Lage. Der Weise besann sich eine Weile, dann wandte er sich an den Holzfäller und sagte: “Befehle den Riesen hierher.” Der Holzfäller gehorchte. “Nun befiehl ihm, den größten Baum, den er finden kann, zu bringen.” Innerhalb von Sekunden kam der Riese, einen mächtigen Baum auf den Schultern tragend, zurück. “Nun sage ihm, daß er auf den Wipfel des Baumes klettern soll und dann so rasch er kann wieder hinunter”, ordnete der Weise an. “Fahre fort, Deine Befehle zu wiederholen.” 

Nachdem er die Befehle des Holzfällers gehört hatte, begann der Riese mit Höchstgeschwindigkeit, den Baum hinauf- und hinunterzuklettern. Nach einiger Zeit wurde er müde und erkannte die Ausweglosigkeit seiner Lage, und so fiel er vor dem Holzfäller auf die Knie. “Herr! Herr! Oh großer, gütiger Meister! Bitte, erlöse mich von dieser Aufgabe, ich bitte Dich, Herr, und ich verspreche Dir, Dich nicht aufzufressen.” Der alte Mann erklärte sich mit Freuden einverstanden und war nun ein freier und viel weiserer Mensch. 


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