23. Juli 2012

zwei Zaubervögel


Zwei Vögel fristeten ihr Dasein in der Seligkeit der Lüfte.
Eines Tages sahen sich an und beschlossen bei der nächsten Vollversammlung sich als Rat zu bewerben.
Sie zogen sich einen Anzug an und tauchten in der Welt der Fische ein, wo viele Kollegen übten.
Sie lernten zuerst mit dem Schwimmen auszukommen. Die Stummheit beeinträchtigte jetzt ihre Kommunikation. Sie legten sich alle möglichen Schuppen an, um ihre Flugfähigkeit zu verlieren. Unterm Druck der Tiefe verbrachten sie so ihr halbes Leben in wackliger Wanderschaft als halbblinde Bettler.
Irgendwann trafen sie wie vereinbart auf einander, um den Weg nach oben gemeinsam zu gehen. Der Eine hatte mittlerweile das Schwimmen perfektioniert und gab sich als Experte aus, damit bekam er einen sicheren Platz in der Mitte des Schwarms und ein paar Bisse mehr Nahrung. Er freute sich so seinen Freund wieder zu sehen, dass er ihm sofort zeigen wollte, wie er sich vom Strom treiben lässt statt selber zu schwimmen. Der andere lernte es schnell und konnte bald auch so mühelos vorankommen. Alle bewunderten seine elegante Leichtigkeit und machten ihm Platz in der Mitte. Er machte seinem Freund auch ein Geschenk. Er brachte ihm bei, unsichtbar zu sein.
Sie wetteiferten, wer als erster durch die Mitte die Oberfläche erreichen würde. Sie führten sich auch gegenseitig Kunststücke vor, um in der Mitte zu bleiben und um die Aufmerksamkeit des Anderen zu fesseln; ihn am schnellen Auftauchen zu hindern. Sie freuten sich über ihre Zaubertricks und schauten auch gerne zu aber heimlich versuchten sich auch als Entfesselungskünstler, um sich von der Zauberkraft aller Anderen zu befreien.
So verbrachten die Zwei gemeinsam mit ihren Artisten Kollegen ein langes, zauberhaftes und fesselndes Leben bis sie die Oberfläche erreichen konnten.

21. Juli 2012

der Seiltänzer


Ein Seiltänzer balanciert hoch über den Köpfen der Zuschauer in schwindelnder Höhe zwischen Rathaus und Kirchturmspitze. Und es war eine lange, gefährliche Strecke. Sobald der Artist sein Ziel erreicht hatte, spendete die Menge begeistert Beifall. Und forderte ein Dakapo.
"Ja glaubt ihr denn, dass ich den Weg übers gefährliche Seil auch wieder zurück schaffe?" rief er der Menge zu.
"Aber ja, aber ja", rief sie zurück.
Und der Mann balancierte wieder über das schwindelerregende Seil. Als er am Ausgangspunkt angelangt war, klatschte und trampelte die Menge und rief wieder begeistert:
"Dakapo! Dakapo! Zugabe! Zugabe!"
Und der Seiltänzer nahm eine Schubkarre und rief herunter:
"Glaubt Ihr, dass ich es auch schaffe mit dieser Schubkarre hier?"
Die Menge schaute gebannt nach oben. Mit einer Schubkarre 200 m über ein dünnes, gefährlich schwankendes Seil? Doch da rief schon einer von unten:
"Das schaffst du! Das glaube ich, das schaffst du bestimmt!"
Worauf der Seiltänzer nach unten rief:
"Du glaubst, dass ich das schaffe? Dann komm nach oben, und setz' dich hinein!"

- anonymous

4. Juli 2012

Feuer mit Wasser


Schaue nach vorn
Schritt ins Nichts
Flügelschlag von Gestern
Landet jetzt

Schmied oder Bäcker
Feuer und Wasser
Schwarz oder Weiß
Traum formt

Meister Schüler
Klopft an der Tür
Will trauen
Versteckte Karten

Chaos verehrt die Welt
Schatten schmilzt im Licht
Die Erde dreht
Du und ich

Sorgfältig geplant
Achtsam durchgeführt
Feuer mit Wasser
Die große Prüfung bist Du

3. Juli 2012

im Land der Narren

Es war einmal ein Mann, der verirrte sich in das Land der Narren.
Auf seinem Weg sah er Leute, die vor Schrecken von einem Feld
flohen, wo sie Weizen ernten wollten. »Im Feld ist ein Ungeheuer«,
erzählten sie ihm. Er blickte hinüber und sah, daß es eine Wassermelone
war.
Er erbot sich, das Ungeheuer zu töten, schnitt die Frucht ab und
begann sie zu verspeisen. Jetzt bekamen die Leute noch viel größere
Angst vor ihm, als sie vor der Melone gehabt hatten. Sie schrien:
»Als nächstes wird er uns töten, wenn wir ihn nicht schnellstens
loswerden« und jagten ihn davon.
Wieder verirrte sich eines Tages ein Wanderer in ihr Land, und
auch er begegnete den Leuten, die sich vor dem vermeintlichen Ungeheuer
fürchteten. Aber statt ihnen seine Hilfe anzubieten, stimmte er ihnen zu,
stahl sich vorsichtig mit ihnen vor dem Ungeheuer von dannen und
gewann so ihr Vertrauen. Er lebte lange Zeit bei ihnen, bis er sie schließlich
Schritt für Schritt jene einfachen Tatsachen lehren konnte, die sie befähigten,
nicht nur die Angst vor Wassermelonen zu verlieren,
sondern sie sogar anzubauen.

- Sufi-Parabel

2. Juli 2012

Ebbe und Flut


bist gegangen
du ahnst

setzt die Brille
hast Angst

dein Recht
mein Schmerz

gestern ich
heute du
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