20. November 2010

Alle Kunst ist völlig nutzlos

Der Künstler ist der Schöpfer schöner Dinge.
Die Kunst zu offenbaren und den Künstler zu verstecken ist die Aufgabe der Kunst.
Der Kritiker ist der, der seinen Eindruck von schönen Dingen in eine neue Form oder ein neues Material übertragen kann. Die höchste wie die niederste Form der Kritik ist eine Art Selbstbiographie.
Wer häßlichen Sinn in schönen Dingen findet, ist verderbt, ohne Anmut zu haben. Das ist ein Fehler.
Wer schönen Sinn in schönen Dingen findet, gehört zum Reiche der Kultur. Für ihn ist Hoffnung.
Die sind die Auserwählten, denen schöne Dinge einzig Schönheit bedeuten.
So etwas wie ein moralisches oder unmoralisches Buch gibt es nicht. Bücher sind gut geschrieben oder schlecht geschrieben, weiter nichts.
Das Mißfallen des neunzehnten Jahrhunderts am Realismus ist die Wut Kalibans, der sein eigenes Gesicht im Spiegel sieht.
Das Mißfallen des neunzehnten Jahrhunderts an der Romantik ist die Wut Kalibans, der sein eigenes Gesicht nicht im Spiegel sieht.
Das moralische Leben des Menschen bildet einen Teil des Stoffgebiets des Künstlers, aber die Moralität der Kunst besteht im vollkommenen Gebrauch eines unvollkommenen Mittels.
Kein Künstler will etwas beweisen. Selbst Wahrheiten können bewiesen werden.
Kein Künstler bat ethische Sympathien. Eine ethische Sympathie bei einem Künstler ist eine unverzeihliche Manieriertheit des Stils.
Kein Künstler ist je dekadent. Der Künstler kann alles ausdrücken.
Denken und Sprechen sind für den Künstler Mittel einer Kunst.
Laster und Tugend sind für den Künstler Material einer Kunst.
Vom Standpunkt der Form ist das Urbild aller Künste die Kunst des Musikers. Vom Standpunkt des Gefühls ist das Handwerk des Schauspielers das Urbild.
Alle Kunst ist zugleich Oberfläche und Symbol. Wer unter die Oberfläche geht, tut es auf eigene Gefahr.
Wer das Symbol deutet, tut es auf eigene Gefahr.
Den Beschauer und nicht das Leben spiegelt die Kunst in Wahrheit.
Meinungsverschiedenheit über ein Kunstwerk zeigt, daß das Werk neu, vielfältig und bedeutend ist.
Wenn die Kritiker uneins sind, ist der Künstler einig mit sich selbst.
Wir können einem Menschen verzeihen, daß er etwas Nützliches gemacht hat, solange er es nicht bewundert. Die einzige Entschuldigung dafür, daß einer etwas Nutzloses gemacht hat, ist, daß man es sehr bewundert.
Alle Kunst ist völlig nutzlos.

- Oscar Wilde, Vorwort zu Dorian Gray

1 Kommentar:

  1. The artist is the creator of beautiful things. To reveal art and conceal the artist is art's aim. The critic is he who can translate into another manner or a new material his impression of beautiful things.
    The highest as the lowest form of criticism is a mode of autobiography. Those who find ugly meanings in beautiful things are corrupt without being charming. This is a fault.

    Those who find beautiful meanings in beautiful things are the cultivated. For these there is hope. They are the elect to whom beautiful things mean only beauty.

    There is no such thing as a moral or an immoral book. Books are well written, or badly written. That is all.

    The nineteenth century dislike of realism is the rage of Caliban seeing his own face in a glass.

    The nineteenth century dislike of romanticism is the rage of Caliban not seeing his own face in a glass. The moral life of man forms part of the subject-matter of the artist, but the morality of art consists in the perfect use of an imperfect medium. No artist desires to prove anything. Even things that are true can be proved. No artist has ethical sympathies. An ethical sympathy in an artist is an unpardonable mannerism of style. No artist is ever morbid. The artist can express everything. Thought and language are to the artist instruments of an art. Vice and virtue are to the artist materials for an art. From the point of view of form, the type of all the arts is the art of the musician. From the point of view of feeling, the actor's craft is the type. All art is at once surface and symbol. Those who go beneath the surface do so at their peril. Those who read the symbol do so at their peril. It is the spectator, and not life, that art really mirrors. Diversity of opinion about a work of art shows that the work is new, complex, and vital. When critics disagree, the artist is in accord with himself. We can forgive a man for making a useful thing as long as he does not admire it. The only excuse for making a useless thing is that one admires it intensely.

    All art is quite useless.

    - Oscar Wilde, Preface to Dorian Gray

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